
„Raus aus der Komfortzone“
Als ich diesen Satz bei Google (August 2022) eingegeben habe, werden mir 457.000 Suchergebnisse ausgespuckt. Die einhellige Botschaft ist: nur außerhalb deiner Komfortzone ist Entwicklung möglich.
Denn bist du nicht so weit, deine Komfortzone zu verlassen, bist du auch nicht bereit für deine Transformation, die dein Leben verändern wird. Und wenn du dich nicht überwindest und deinen Ängsten stellst, wird dein wahres Potential – vielleicht sogar für immer – unerkannt von dir und der Welt ein klägliches Dasein im Dunklen fristen – so wie der Bad-Taste-Weihnachtspulli, den du dir vor Jahren für eine Party gekauft hast und der seitdem in der hintersten Ecke deines Kleiderschranks verkommt.
Das Leben ist voller Herausforderungen
Uns allen begegnen Aufgaben, für die wir uns nicht bereit fühlen.
So musste ich z.B. im Vorstellungsgespräch für einen Sommerjob fremde Menschen auf der Straße ansprechen und einen Stift in immer „bessere“ Gegenstände eintauschen, um meine Offenheit und Kommunikationsfähigkeit unter Beweis zu stellen. Und in einem Praktikum wurde mir die Chance geboten auf einer großen Bühne ein Arbeitsergebnis vorzustellen, um sichtbarer zu werden.
Zum jeweiligen Zeitpunkt haben diese Aufgaben mein übliches Verhaltensrepertoire überschritten und mich ziemlich herausgefordert. Die Aufgaben lagen also außerhalb meiner Komfortzone.
(Wie diese beiden Experimente ausgingen, verrate ich dir zum Schluss )
Lass uns noch mal einen Moment auf die Komfortzone, ihren schlechten Ruf und ihren „Gegenspieler“ schauen – die Wachstumszone.
„Wenn die Sehnsucht größer als die Angst ist, wird Mut geboren“
– Rainer Maria Rilke
Das Komfortzonenmodell und die Zonen
Das Komfortzonenmodell (nach Yerkes & Dodson, 1908, White, 2008) mit wahlweise 3 oder 4 Zonen kennst du bestimmt auch, oder?
- Die erste Zone, die Komfortzone, heißt deswegen so, weil in ihr all deine etablierten und bewährten Routinen und Gewohnheiten liegen, auf die du im Alltag wie auf ein Default-Programm zurückgreifst.

- Wird von uns ein Verhalten oder eine Fähigkeit gefordert, dass wir noch nie oder wenig nutzen, sind wir deutlich unsicherer und vielleicht auch weniger zuversichtlich. Dies wird durch die Angstzone ausgedrückt, denn nicht selten, überfordert uns dies und lässt uns zweifeln oder gar hinschmeißen.
- Nach erfolgreicher „Durchquerung“ der Angstzone, wird die Lernzone erreicht, mit der einmaligen Chance aus deinen neuen Erfahrungen dazuzulernen.
- Die Wachstumszone ist die Zone, nach der viele streben. Die Zielerreichung und der Erfolg ist zum Greifen nahe. Du integrierst das Neue, alles wird wieder leichter und es stellt sich Zufriedenheit für das zuvor Geleistete ein.
FOMO-Marketing und der schlechte Ruf der Komfortzone
Häufig wird diese Grafik gezeigt, um proaktiv auf den Widerstand hinzuweisen, den man erleben wird, sofern man sich für eine Herausforderung entscheidet. Dann folgt der Aufruf, es trotzdem zu tun, weil du sonst etwas bereuen könntest.
Und genau deswegen beginnt sich bei mir ein gewisser Widerstand gegen den Einsatz des Modells auf diese Weise zu regen. Ich bezweifle sehr, dass es im Sinne der Begründer lag, dass das Modell überwiegend als ein „FOMO-Marketing-Instrument“ genutzt wird. Ja, im besten Falle ist ein kleiner Schubs motivierend und gibt dir die Möglichkeit, dich auf Hindernisse vorzubereiten und sie vielleicht sogar zu umgehen. Aber manchmal reicht ein Schubs nicht aus.
Die Komfortzone hat leider einen schlechten Ruf. Wird sie erwähnt, dann nur ganz sicher mit dem Zusatz, dass hier die Langweiler, Neider und Angsthasen sitzen, die uns leid tun müssen, weil sie ihr Leben verschlafen. Damit werden Stereotype bedient und ein Schubladen-Denken provoziert. Denn bist du gerne „so eine“ Person?
Ist ein angstbasierte Ansatz hilfreich und motivierend in Bezug auf eine Veränderung? Wie wäre es mit weniger Aktionismus, bisschen Strategie und dafür aber auch weniger Stress und Sorgen, es nicht zu schaffen. Ich finde, die Komfortzone ist kein schlechter Ort, um sich seiner Absichten und Ziele bewusst zu werden, Pläne zu schmieden und dann schrittweise loszulegen.
Du legst den Grundstein für einen Veränderungsprozess ohne Angst und Druck, indem anfängst deinen Bedürfnissen und deiner inneren Stimme mehr Gewicht zu geben!
Diese 3 Punkte werden meiner Meinung nach in Veränderungsprozessen zu wenig berücksichtigt

Du bist richtig, so wie du bist. Jede Person hat das Recht darauf, genau dort in ihrer Entwicklung zu stehen, wo sie sich gerade befindet.
Für eine nachhaltige Veränderung brauchst du individuelle Maßnahmen, die sich für dich stimmig anfühlen und die dich dort abholen, wo du heute stehst. Dein „Aktionsplan“ sollte also von dir selbst entwickelt werden und auf ein Ziel einzahlen, was für dich attraktiv und erstrebenswert ist. Ein erster Schritt aus Aktionismus („Entscheide einfach aus dem Bauch“) kann in einigen Fällen durchaus klappen, kann sich aber auch negativ auf deinen Entwicklungsprozess auswirken.
Denn ein Push von außen, etwas zu tun, was du dir nicht selbst ausgesucht hast und was noch zu weit von deinen aktuellen Fähigkeiten und Selbstbild entfernt ist, kann Stress und Angst auslösen – dazu mehr in Punkt 2.
Werde dir also klar darüber, was dein Status-Quo ist, welche Bedürfnisse unbefriedigt bleiben und wieso dieser Zustand für dich nicht mehr tragbar ist. Beschäftige dich mit deinen gemischten Gefühlen: Wieso möchtest du etwas anderes und wieso jetzt? Was hält dich ab oder verunsichert dich? Horch mal ehrlich in dich rein.
So kannst du Erkenntnisse über deine Pläne, Absichten und Beweggründe sammeln. Und ja, auch das ist Wachstum und eine solide Grundlage für deinen Weiterentwicklungsprozess.

Es ist wissenschaftlich belegt, dass Emotionen eine wichtige Rolle im Zusammenhang mit Motivation und dem Erreichen von Zielen spielen. In der Psychologie spricht man von Annäherungs- und Vermeidungsmotiven. Sprich: Wir sind motiviert uns einem Zielzustand anzunähern, wenn er attraktiv und positiv für uns ist. Umgekehrt sind wir auch motiviert einen Zielzustand zu vermeiden, wenn er unattraktiv und abschreckend für uns ist.
Auch wenn beide Art von Zielen motivieren, solltest du bei deinem Vorhaben ein wirklich positives Ziel vor Augen haben, auf dass es sich persönlich lohnt hinzuarbeiten. Denn Veränderung passiert nicht über Nacht und deine Weiterentwicklung wird umso anstrengender, je mehr du sie über Disziplin und Selbstkontrolle erreichen willst.
Set yourself up for success und zwar indem du es dir so leicht wie möglich machst! Wovon soll es in deiner Wunschzukunft weniger geben und wovon mehr? Welche Verhaltensweisen oder Fähigkeiten möchtest du stärken? Und wieso, ist es positiv für dich, das zu erreichen?

Um etwas Neues auszuprobieren, braucht es einen guten Nährboden. Nicht immer ist sofort der beste Zeitpunkt für fundamentale Veränderungen, denn du agierst nicht im luftleeren Raum. Um dich herum sind deine Familie, Freunde, Kollegen zu denen du Abhängigkeiten hast. Und an diesen sozialen Verknüpfungen etwas zu ändern, ist häufig ein Grund für Sorgen.
Deswegen finde ich es wichtig, das Konzept der psychologische Sicherheit zu kennen (vgl. Amy Admundsen & Timothy R. Clark). Dahinter versteckt sich unser Glauben, dass wir uns in einem Raum bewegen, in dem wir keine negativen Konsequenzen zu befürchten haben, z.B. wenn wir Fehler machen, wir eine andere Meinung haben oder uns verletzlich zeigen.
Familie und Freunde sind oft wichtige Feedbackgeber oder sie können als eine Art Jury erlebt werden, mit einer klaren Erwartung und Meinung, was „gut“ oder auch „schlecht“ für uns ist. Mach dir auch über den Nährboden, der dich umgibt, Gedanken. Wer wird dich unterstützen? Ist jetzt ein guter Zeitpunkt für dein Vorhaben? Falls du Bedenken hast, wen oder was ziehst du hinzu, damit du dich sicherer fühlst?
Wofür das Zonenmodell gut ist und wie du die Komfortzone für dich nutzt
Das Zonenmodell wurde vorrangig als Erklärungsmodell für die Personen entwickelt, die sich in einer Veränderung befinden. Das Modell hilft zu verstehen, wieso bestimmte Gefühle aufkommen und dass diese wieder vorrübergehen. Was ich häufig sehe: es wird als Tschaka-Motivations-Werkzeug eingesetzt, um dich von außen zu einer Veränderung zu drängen. Dabei ist eines als fundamentaler Ausgangspunkt für Lernen und Veränderung am allerwichtigsten: dass deine Veränderung von innen beginnt, und zwar indem du deine Selbstbewusstheit (engl: Self-Awareness) aufbaust.
Beschäftige dich also zuallererst mit dir selbst: deiner Persönlichkeit, deinen Motiven und Fähigkeiten! Die Frage, was du wirklich willst, ist Dreh- und Angelpunkt, für deine Zufriedenheit und Motivation.
Die einzige Frage, die du dir wirklich stellen solltest ist diese: Was möchte ich wirklich und welche Veränderung ist notwendig, damit dieser Wunsch Wirklichkeit wird?
Das Credo lautet Selbstverantwortung!
Damit wir uns richtig verstehen: ich befürworte zu 100%, dass wir (selbst-)kritisch über unseren Tellerrand hinausschauen. Und dabei schadet ein unterstützender Stupps nicht. Aber wir dürfen dabei achtsam sein und Grenzen setzen.

Um dein Ziel zu erreichen, hilft ein Reframing. Wenn deine Gedanken darum kreisen, dass du dich außerhalb deiner Komfortzone bewegst, ist dein Fokus eher auf all das Unbekannte gerichtet. Eine direkte Einladung an deinen Körper, all die Abwehrmechanismen zu aktivieren, die du dir über die Jahre angeeignet hast. Betrachtest du dein Vorhaben dagegen mit Neugierde und Offenheit, dann begegnest du Herausforderungen weniger voreingenommen und kritisch. Sie sind ein Teil deines Weges und du kannst etwas durch sie lernen.
Jeder Lern- und Veränderungsprozess bedeutet daher Ausdauer. Mal wirst du Durchhaltevermögen benötigen, mal wirst du von deinem inneren Antrieb beflügelt. Daher gehe ruhig los mit Baby Steps, gönn dir mal eine Verschnaufsprause und reflektiere, wie es dir geht und verliere nicht den Blick auf das eigentliche Ziel: Nämlich, dass du dir einen attraktiven Zugewinn für dein Leben versprichst.
Und mache dir bitte noch eine Sache bewusst: Phasen der Anspannung und Regeneration finden im Wechsel statt. Es braucht diese Ruhephase, damit überhaupt ein Wachstum möglich ist.
Eine Weiterentwicklung beginnt meiner Meinung nach immer in der Komfortzone, weil du dich hier mir deinem Veränderungswunsch oder -Bedarf konfrontiert siehst. Ob du dann diesem Wunsch nachgehst, hat vorrangig nichts damit zu tun ob du ein Angsthase oder Langweiler bist, sondern ob du weißt, was du im Leben möchtest und was du dafür bereit bist zu tun.
Meine persönliche Erfahrung mit Herausforderungen außerhalb meiner Komfortzone
Zu guter Letzt die Auflösung, wie es mir mit meinen (von außen aufgezwungenen) Herausforderungen ausging
Die Stifte-Umtausch-Aktion meisterte ich dank meines Leistungsanspruches und weil Aufgeben unangenehm gewesen wäre. So bekam ich den Sommerjob. Die Aufgabe war ganz passend gewählt:

Der Job beinhaltete ein aktives Ansprechen fremder Personen und das kalte Verkaufen. Die Aufgabe war jedoch kein Prädikator für meinen Erfolg, denn ich mauserte mich kein bisschen zum Akquise-Talent. Meine Miete hatte ich dennoch drin – und das war mein inneres Ziel, mehr nicht.
Spannenderweise gab es während des Studiums zwei weitere Situation, in der ich auf der Straße fremde Menschen für die Teilnahme einer Studie ansprechen mussten. Hier steigerte sich mein Elan mit jeder Person, die wir für unseren Zweck gewinnen konnten und ich hatte mich richtig eingegrooved, als wir unsere Soll-Zahl erreichten.
Und wie lief es im Praktikum? Die Chance vor einem Auditorium voller Menschen zu besprechen, überforderte mich komplett. An dem Tag litt ich an Schwindel und Übelkeit und meldete mich krank. Ich stand nie auf dieser Bühne und meine Ergebnisse landeten in der Schublade. Noch heute glaube ich, dass ich diese Aufgabe unter anderen Bedingungen hätte meistern können, aber der Rahmen und Support fehlte.
Denn einige Jahre später, bekam ich bei der Arbeit erneut die Chance unter Anleitung vor einer Gruppe über mein Projekt zu sprechen. Am Tag des Vortrags war ich nervös und an meine wenigen Minuten Sprechzeit erinnere ich mich nicht wirklich, da ich komplett im Tunnel war. Aber der Tag war der Grundstein, eine neue Fähigkeit zu entwickeln, mit Strategie an eine neue Aufgabe heranzugehen und ein fetter Zugewinn an Selbstvertrauen, was das Sprechen vor großen Gruppen angeht.

Fazit: Wir können zu jeder Zeit etwas lernen, wenn wir richtig hinschauen und ehrlich mit uns sind.
- Nur, weil ich heute etwas noch nicht machen möchte, heißt es nicht, dass ich es nie tun werde.
- Nur, weil mir heute etwas ungern mache, bedeutet das nicht, dass ich es auch in Zukunft ablehne.
- Nur, weil ich mir heute etwas noch nicht vorstellen kann, bedeutet es nicht, dass ich nicht anders darüber denke, sobald ich mehr Erfahrungen, Wissen oder Selbstbewusstsein erlangt habe.
Lass dich also nicht entmutigen, wenn du heute noch nicht bereit bist für deinen nächsten Schritt. Nimm dir die Zeit, um herauszufinden, was du wirklich willst und was es braucht, damit deine Träume auch Wirklichkeit werden.